Ferit Osman
Ein Tag wie jeder andere
Gestern habe ich gedacht, morgen schreibst du alles einmal auf. Was ist daran so komisch? Morgen kann ein ganz wichtiger Tag in meinem Leben werden. Warum, das weiß ich natürlich jetzt noch nicht.
Morgen kann viel passieren, genau wie heute und die anderen Tage davor und danach.
Heute hatte es geschneit. Na ja, es war eigentlich gar kein richtiger Schnee, obwohl sich die weißen Brösel kalt anfühlten. Schon eigentlich wie richtiger Schnee, aber dann doch wieder nicht. Ein bisschen Puderzucker aus der Schachtel mit dem italienischen Schüttelkuchen. Nicht der Rede wert. Nicht einmal in den Verkehrsnachrichten war die Rede davon.
Früher war Schnee anders. Da konntest du gleich am ersten Schneetag deine Skischuhe anziehen und Skilaufen gehen. Skilaufen, nicht irgendwie im Affentempo einen Hang hinunterfegen, rein in den Lift, wieder hinauf, wieder hinunter, bis du so müde bist, dass du am Abend fast nicht mehr stehen kannst.
Ich brauche keine Skischuhe und keine Skier. Ich bin immer müde am Abend. Auch wenn ich nichts getan habe, das mir in Erinnerung bleiben würde.
Manchmal bin ich zu müde. Sagt meine Frau.
Aber die Weiber wissen nicht, was das für eine Anstrengung ist, wie viel Energie und Ausdauer dazugehört, auf den big-bang zu warten, der diesen Tag zu einem ganz besonderen, einem wichtigen Tag macht. Im Leben.
„Ich werde nie vergessen…“, fängt man dann seine Sätze an oder: „Ja, ja…das bleibt mir unvergesslich.“
Mal sehen, vielleicht ist morgen so ein Tag, obwohl ich heute noch nicht daran glaube. Und wenn ich morgen nur daran glaube, ohne dass wirklich etwas wesentliches geschieht, obgleich der Glaube ja angeblich sogar Berge versetzen kann, dann wird morgen auch wieder im gleichmäßigen Rauschen der Zeit untergehen, wie so viele Tage.
Aber davon geht die Welt nicht unter.
Morgen, habe ich gestern gedacht, schreibe ich alles einfach auf. Mal sehen.
Der Tag fängt gut an. Aber die Nacht war kurz. Gegen vier Uhr morgens sprang meine Katze mit einem Satz auf mein Bett, trampelte über mich hinweg und nahm ihren Beobachtungsplatz am Fenster ein. Zu sehen gab es nichts. Aber Katzen finden ja auch in finsterster Nach ihr Mäuschen.
Mausi sagte meine Frau früher immer zu mir. Heute sind die Tiere größer.
Einschlafen konnte ich nach dem Katzensprung nicht mehr.
Gestern Abend war es schön. Eigentlich ist mein Leben insgesamt ganz gut. Ich will mich nicht beklagen.
Gestern Abend hatte ich meine Müdigkeit einmal beiseite geschoben und mich an meine Frau herangemacht. Im wörtlichen Sinne. Ich bin immer näher an sie herangerückt. Wir saßen ja auf dem Sofa. Da sind die Entfernungen nicht so riesig.
Wir machen es eigentlich immer so. Meistens jedenfalls. Schon seit vielen Jahren.
Ja, doch, gelegentlich fällt uns auch mal was anderes ein. Im Garten, im Auto, am Waldrand, in der Badewanne, aber da ist es eigentlich zu eng für zwei. Einmal wollten wir es auf einem Hochsitz versuchen, aber der war so wackelig, da bestand Lebensgefahr. Das kennt man ja von den Hängebrücken, die durch gleichmäßige Bewegungen nicht nur in Schwingung geraten, sonder sogar abstürzen können.
An einen Swingerclub hatten wir auch einmal gedacht. Also ich besonders. Aber wie sag´ich´s meiner Frau? Und wir kennen ja gar keinen Club und überhaupt, wir wissen nicht einmal wie das gehen soll: swingen. Vielleicht ist das genau wie bei der Hängebrücke gefährlich.
Gestern Abend war es nicht gefährlich. Im Gegenteil. Und das anatomische Knöpfchen, das ich mir Hand und Zunge streichelte, funktionierte einwandfrei.
Irgendwie muss meine Frau das ihrer Busenfreundin erzählt haben.
„Ach Gottchen, ein Orgasmus“, sagte die und „bei mir geht das nicht. Ich brauche große Kaliber, einen Hengst, auch Schwarze sollen ja gut sein. So ausdauernd. Ich muss die Kerle in mir spüren, sonst komme ich nie zum Höhepunkt.“
Höhepunkt, was für ein Quatsch, denke ich. Das ist eher ein Tiefpunkt, aus dem die Ergüsse kommen. Wie bei den Vulkanen. Da kommt auch alles aus der Tiefe und nichts von oben.
Es juckt da unten, es kribbelt, es erigiert und masturbiert, erwärmt die Seele und das Gemüt und macht uns trunken vor Verlangen und Glück. Manchmal jedenfalls. Für einen Augen-blick. Le petit mort, wie die Franzosen sagen. Aber ich spreche nicht gut französisch.
Bei mir ist es irgendwie so wie auf der Achterbahn, wenn sich die Waggons in die Tiefe stürzen. Immer schneller und schneller, bis einen die Fliehkraft in die Sitze drückt, bevor es wieder ein Stückchen aufwärts geht. Wenn man also durch den tiefsten Punkt gerauscht ist, wenn sich dann alles entspannt. Überstanden!
Bei ihr müsse es auch in die Tiefe gehen, hatte die Freundin meiner Frau noch gesagt, ganz tief und immer schön, na du weißt schon, hin und her, rein und raus.
„Bei uns artet das meist in ein wildes Gerammel aus, das mag ich nicht“, sagte meine Frau. Und die Freundin meinte nach einer Weile:
„Ist ja auch ganz schön praktisch bei dir. Im Grunde kannst du´s dir ja selber machen. Mit einer Hand. Da kannst du mit der anderen nebenbei noch Wäsche bügeln…“
Ich hatte genug von solchen Gesprächen und begab mich nach draußen. In den Hühnerstall. Ich habe nämlich ein Dutzend Hühner und die wollen versorgt sein. Eigentlich sind es ja nur elf Hennen und ein Hahn. Ein Prachtkerl, groß und schwer und schneeweiß mit einem feuerroten Kamm und an den Zehen Federn, die abstehen wie die Sicheln an den Naben eines römischen Kampfwagens.
Und er ist fleißig. Bespringt alle seine Hennen. Obwohl, im Laufe der Zeit ist er auch schon ruhiger geworden, was die Sache angeht. Dafür kräht er umso lauter.
Ich habe es nicht geglaubt, aber mein Hahn hat so seine Lieblingsfrauen. Mehrere. Meistens zwei oder drei, die ihn ziemlich oft ertragen müssen. Da kann man ganz schön neidisch werden. Besonders eine Zwerghenne hat es ihm angetan, mit der er manchmal im Legenest ganz eng kuschelt. Aber die Kleine ist auch niedlich, mit ihren großen dunklen Augen, die einen orangefarbenen Rand haben, ihren glänzenden, tiefschwarzen Federn, die in der Sonne schimmern.
Ich beneide meinen Hahn, der sich mit so viel schönen Frauen umgeben kann, wenn ich es will.
Natürlich hat er viel zu tun mit seinem Harem und das Bespringen einer Henne ist ja nicht ganz einfach und zuweilen auch riskant. Ja, doch. Für die Hennen, meine ich, die, nachdem sie sich heftig geschüttelt und ihr Federkleid wieder in Ordnung gebracht haben, dennoch meist so aussehen wie gerupfte Hühner, mit blutigem Kamm und lahmen Flügeln. Denn der Hahn macht nicht lange Federlesen, packt seine Hennen bei jeder Gelegenheit, rücksichtslos und brutal. Aber vielleicht sehe ich das auch nur so.
Mich würde schon einmal interessieren, wie der Hahn das macht, das er so oft in Stimmung ist. Wie wählt er seine Hennen aus oder was macht ihn besonders an? Ihre schönen Augen, in die er sich vertiefen könnte, ihre langen Beine, die stolze Hühnerbrust oder wie bei der Zwerghenne ihre Niedlichkeit? Kindchenschema, glaube ich, sagen die Psychologen bei uns Menschen.
Denkt der Hahn den ganzen Tag nur an das eine?
„Wie ihr Männer“, sagt meine Frau.
Alles spielt sich im Kopf ab. Gedankenkino auch bei meinem Hahn? Hühnerpornos im kleinen Spatzenhirn? Wer weiß.
Vielleicht sollte ich öfter an meinen Hahn denken. Und an die vielen Weiber, die er hat..
Selbstverständlich liebe ich meine Frau. Was für eine Frage!
Wir machen ganz viel zusammen. Schon seit Jahren. Einkaufen zum Beispiel, gewiss, nichts Besonderes. Das machen andere auch. Aber nicht alle Männer, die einkaufen gehen sind für´s Gemüse zuständig, nicht alle Frauen für das Fleisch.
Natürlich achte ich beim Gemüsekauf auf die Größe, das Gewicht und die Form. Zuallererst die Form. Und ob sie gut in den Händen liegen, die Möhren, Zuccinis, Gurken. Auch die kleinen Auberginen finde ich geeignet. Sie sehen immer frisch aus mit ihrer violett glänzenden glatten Haut. So leicht. Und feucht. Junges Gemüse. Manchmal kaufe ich auch Bananen. Zum Essen.
Aber wenn zu Hause alles im Kühlschrank verstaut ist, hilft das keinem mehr.
Ich liebe meine Frau.
Draußen ist es langsam hell geworden und ich muss anfangen, meine Gedanken aufzuschreiben, sonst sind sie weg, verschwunden für alle Zeit und ich kann wieder von vorne anfangen. Aber das ist nicht mehr das selbe. Wie denn auch?
Gestern habe ich mir gedacht, wie wird dein Tag morgen sein? Und heute bin ich schon mittendrin.
Ein Tag wie jeder andere. Mal sehen.
© Ferit Osman 2010